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Das Gespräch mit Hawanatu Jah, Ärztin im Ebola-Einsatz mit Cap Anamur: „Wichtig ist die Art, wie man hilft“

Hawanatu Jah hat auf dem Höhepunkt der Ebola-Epidemie in einem Kinderkrankenhaus in Sierra Leone gearbeitet. Die Ärztin spricht unter anderem darüber, was Aufklärung bewirken kann und dass Kooperation auf Augenhöhe der nachhaltigste Weg der Hilfe ist.

 

Dtsch Arztebl 2015; 112(10): A-399 / B-346 / C-338

von Korzilius, Heike

Hawanatu Jah (32) ist Ärztin am Klinikum Osnabrück. Einen Teil ihrer Kindheit verbrachte die angehende Gynäkologin in Sierra Leone. Ihr Vater, ein Chirurg, stammt von dort. Fotos: Cap Anamur

Es ist ein sonniger Wintertag in Osnabrück. In der Fußgängerzone geht es noch ruhig zu, als Hawanatu Jah mit ihrem Fahrrad vorfährt. Vor knapp zwei Monaten ist die zupackende Ärztin aus Sierra Leone zurückgekehrt. Acht Wochen lang hat sie dort im Auftrag der Hilfsorganisation Cap Anamur Kinder versorgt, bei denen der Verdacht bestand, dass sie sich mit Ebola infiziert haben. Einsatzort war das einzige staatliche Kinderkrankenhaus des Landes in Freetown (siehe Kasten). Die Hauptstadt von Sierra Leone ist noch immer einer der „Hotspots“ der Epidemie. „Von den nachweislich mehr als 8 000 Ebola-Fällen im Land, stammten 3 000 aus Freetown und der unmittelbaren Umgebung“, sagt Jah. In der Stadt leben zwei Millionen Menschen auf engstem Raum. „Es ist ein Wunder, dass dort nicht mehr passiert ist.“

Unter normalen Umständen können in der Kinderklinik 175 kleine Patienten stationär versorgt werden. Nachdem dort jedoch im August 2014 ein erster Ebola-Fall diagnostiziert wurde, schloss man das Krankenhaus vorübergehend. „Das hieß, 120 Kinder mussten von jetzt auf gleich entlassen werden“, erklärt Jah. Die Ansteckungsgefahr sei einfach zu groß gewesen. „Wir brauchten ein anderes Konzept.“ In der Folge hat Cap Anamur innerhalb von nur vier Wochen auf dem Nachbargrundstück eine Isolierstation mit 20 Betten „aus dem Boden gestampft“. „Das war wirklich eine Leistung“, sagt die Ärztin.

In dieser Einheit werden sämtliche Ebola-Verdachtsfälle aufgenommen. Die Kinder werden streng voneinander isoliert und von Anfang an symptomatisch behandelt: „Die Medikation besteht aus einer oralen Lösung zur Rehydration, Antimalaria-Medikamenten, Paracetamol gegen die Schmerzen und mindestens einem Antibiotikum, angepasst an die zusätzlichen Symptome“, erklärt Jah. „In der ersten Zeit waren 60 bis 70 Prozent der neuen Patienten Ebola-positiv.“ Damals schrumpfte die Zahl der nicht-infizierten Kinder, die im angrenzenden Krankenhaus behandelt wurden, auf durchschnittlich 30 bis 40. „Wer irgend konnte, wurde wegen der Infektionsgefahr mit oraler Medikation nach Hause geschickt“, erläutert Jah.

Der Aufnahme ins Krankenhaus oder auf die Isolierstation ist ein Screening vorgeschaltet, das jeder kleine Patient durchlaufen muss. Es herrscht eine strikte „No touch“-Politik. Die Anamnese erfolgt in einem Sicherheitsabstand von zwei Metern. „Da ist es essenziell, die Kultur zu verstehen und die Körpersprache mit lesen zu können“, sagt Jah. Das kann sie, denn sie hat selbst Wurzeln in Sierra Leone. Der Vater, selbst Chirurg, ist Sierra Leoner, die Mutter Deutsche. Jah verbrachte die ersten zehn Jahre ihres Lebens in Bo, der zweitgrößten Stadt Sierra Leones. Dann brach der Bürgerkrieg aus (1991 bis 2002), Mutter und Tochter kehrten nach Deutschland zurück. Der Vater blieb. „Er hat den Bürgerkrieg sozusagen im OP verbracht“, sagt Jah.

Die beiden eint die Verbundenheit mit dem westafrikanischen Land. „Ich habe den sprachlichen und kulturellen Hintergrund. Ich bin Ärztin. Warum sollte ich nicht vor Ort sein?“, fragt Jah. „So ein Einsatz ist ja kein Selbstmord. Mit Cap Anamur hatte ich die Sicherheit einer zuverlässigen Versorgung mit Schutzmaterial. Und wenn ich weiß, wie ich mich anstecke, weiß ich auch, wie ich mich schützen kann.“ Dazu gehöre das strikte Befolgen von Regeln. Eine der wichtigsten sei, dass nichts die Isolierstation wieder verlasse – „Gegenstände, Kleidung, alles wird verbrannt“. Komme man als Ebola-Verdachtsfall auf die Isolierstation, führten nur drei Wege wieder hinaus: Ebola-negative Patienten verließen die Station dekontaminiert, also nackt. Ebola-positive Patienten würden im Ambulanzfahrzeug in die Behandlungszentren verlegt und die Toten von Beerdigungsteams abgeholt.

Jahs Arbeitsalltag war neben dem Dienst auf der Isolierstation vor allem von Organisation, Koordination und Kommunikation geprägt. Viele einheimische Kollegen seien beispielsweise mit den Regeln der Kontamination und Dekontamination nicht vertraut gewesen. „Wir haben dort Reinigungskräfte, die haben keinen Schulabschluss. Von denen kann man nicht erwarten, dass sie alles sofort nachvollziehen und umsetzen können“, gibt Jah zu bedenken. „Man ist den ganzen Tag damit beschäftigt zu erklären, damit die Dinge richtig laufen, auch wenn man selber nicht mehr da ist.“ Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung – das sei der Ansatz, mit dem man letztlich gute Erfolge erzielt habe.

 

Sorgfalt ist lebenswichtig: Hawanatu Jah hilft einem Kollegen beim Anlegen des Ebola-Schutzanzugs.

Mit 23 000 Infizierten und mehr als 9 000 Toten ist die aktuelle Ebola-Epidemie die bislang schwerste. Frühere Ausbrüche konzentrierten sich auf relativ isolierte Regionen in Zentralafrika und forderten „nur“ einige Hundert Opfer. Wie konnte der aktuelle Ausbruch derart außer Kontrolle geraten? „Ebola war in Westafrika unbekannt“, sagt Jah. Entsprechend lange habe es gedauert, bis man die Gefahr erkannt habe. Ihren Ausgang nahm die Epidemie im Dezember 2013 im Dreiländereck von Guinea, Liberia und Sierra Leone. „Das ist vom Kongo, dem Ort des letzten Ausbruchs, so weit entfernt wie Lissabon von Moskau“, meint Jah. „Können Sie sich vorstellen, dass jemand in Lissabon glaubt, er hat sich mit einem Virus aus Moskau angesteckt?“

Dazu kommt: „In Westafrika, wo Malaria endemisch ist, ist es normal, wenn man mal Fieber hat.“ Da neigten die Menschen dazu, auf ihre angestammten Heilmittel zu vertrauen. Vor diesem Hintergrund sei das anfängliche Misstrauen gegenüber „fremden Wesen“ in Schutzanzügen, die geliebte Menschen mitnehmen wollten, vielleicht eher verständlich. „In den ersten Monaten ging es in erster Linie darum, die Bevölkerung darüber aufzuklären, dass Ebola existiert“, meint Jah. Die effektive Bekämpfung der Erkrankung hat das stark verzögert. Dazu kommt, dass das Gesundheitswesen des Landes, das zu den ärmsten der Welt gehört, kaum die Basisversorgung der Bevölkerung gewährleisten kann. Mit einer Epidemie dieses Ausmaßes war es gänzlich überfordert. Ein weiterer Rückschlag war die große Zahl der Todesopfer unter den Ärzten und Pflegekräften. „Vor dem Ebola-Ausbruch gab es in Sierra Leone 170 Ärzte“, sagt Jah. „Jetzt sind es noch 100. Alle Ärzte, die sich infiziert haben, sind gestorben. Das ist wie ein Fluch.“

Inzwischen scheint in Sierra Leone der Höhepunkt der Erkrankungswelle überschritten, obwohl die Zahl der Neuerkrankungen schwankt. Die Bekämpfung der Infektion ist effizienter geworden, die internationale Hilfe greift. Doch wie soll es langfristig weitergehen? „Ich halte es für essenziell, dass Sierra Leone mit Hilfe internationaler Kooperation den Wiederaufbau aus sich selbst heraus bewältigt“, sagt Jah. Die Entwicklungspolitik der 1970er und 1980er Jahre habe viel Geld bereitgestellt, aber Projekte aufoktroyiert. „Das führt zu nichts. Wir brauchen einen anderen Ansatz, wenn nachhaltige Unterstützung geleistet werden soll. Wichtig ist die Art, wie man hilft.“

Heike Korzilius